„Aber dann änderte sich plötzlich alles. Und das ganze Land schaute voller Hoffnung auf uns junge Leute. Wir fassten uns ein Herz und taten – nix. Wir schimmelten zu Hause rum, trafen möglichst wenige Leute und verhinderten damit die Ausbreitung von Covid-19, dieser unsichtbaren Gefahr, die nicht nur unser Land, sondern die ganze Welt bedrohte.“ So beschreibt die fiktive Luise Lehmann in einem Spot der Bundesregierung, der für das Zu-Hause-Bleiben wirbt, ihren Corona-Winter 2020. Unter dem Hashtag #besonderehelden sollen die drei Kampagnenvideos junge Leute ansprechen und sie zur Beschränkung ihrer Kontakte animieren. Die Spots sind im Stil einer Dokumentation gehalten, in der fiktive ältere Menschen rückblickend über ihre Heldentaten im Jahr 2020 berichten – natürlich mit einem gewissen Augenzwinkern, schließlich mussten sie nichts weiter tun, als zu Hause zu bleiben. Aber ist es wirklich nur das? Einfach mal zusammenreißen und nicht ständig Partys feiern und dann ist alles bald wieder gut? Viele von uns Erwachsenen scheinen so zu denken. Dabei wird Corona die Zukunft der Jugendlichen noch lange beeinflussen.
Reisen, feiern, Freund*innen treffen, sich ausprobieren, unbeschwert sein und die eigene Freiheit genießen. Die Jugend ist eine tolle Zeit – normalerweise. Doch seit dem Frühling ist nichts mehr normal. Das Coronavirus hat uns allen viel genommen. Besonders junge Menschen leiden unter dem Verlust der Sorglosigkeit, ist doch gerade die Phase des Ausprobierens und Sich-Selbst-Entdeckens prägend für die eigene Entwicklung. Aber die Pandemie wirkt sich auch ganz konkret auf die Zukunft der Jugendlichen aus: durch schlechtere Jobchancen, Probleme beim Berufseinstieg und wirtschaftliche Langzeitfolgen. Entsteht eine Generation der verpassten Möglichkeiten – eine Generation Corona?
Pandemie statt Party
“Ich war jetzt seit März nicht mehr feiern und das ist schon traurig. Ich brauche das eigentlich, ich bin darauf angewiesen” gibt eine junge Frau in einer ZDF-Straßenumfrage zu – und erntet einen Shitstorm. Viele User*innen taten den Verzicht aufs Feiern als First World Problem ab, anstatt sich einzugestehen, dass wir alle gerade etwas „krass vermissen“: den Sport im Verein, den Sonntagsbrunch mit den Jungs, die romantischen Abende beim Italiener oder die wilden Achterbahnfahrten im Freizeitpark. Oft sind es nicht die lebensnotwendigen Dinge, die uns fehlen, sondern die gemeinsamen Erfahrungen. Jetzt also auf die hedonistische Jugend zu schimpfen, bringt uns nicht weiter.
Auch der Politikwissenschaftler Markus Spittler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung widerspricht der ständigen Kritik am Verhalten der Jugendlichen. Zum einen sei diese Kritik faktisch falsch. In der Jugendstudie der TUI Stiftung, an der Spittler mitwirkte, gaben 83 Prozent der befragten Jugendlichen an, sich an alle oder überwiegend alle Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Infektion zu halten. Außerdem gingen die Einschränkungen für junge Erwachsene in der öffentlichen Diskussion oft unter – auch die fehlenden sozialen Erfahrungen. „[Zur Jugend] gehört das Ausgehen, das “sich Ausprobieren”, denn im Austausch mit Freundinnen und Freunden werden wichtige soziale Kompetenzen erworben, die dann zur Emanzipation vom Elternhaus hin zur Entwicklung einer stabilen Persönlichkeit führen,“ mahnt Spittler. „Junge Erwachsene befinden sich in einer Lebensphase in der in der Regel viele wichtige Entscheidungen für den späteren Lebensweg getroffen werden. Entscheidungen, die durch Erfahrungen und Austausch besser werden. Nicht alles davon, soviel ist sicher, wird nachgeholt werden können.“
Narben werden bleiben
Eben diese fehlenden Gelegenheiten, beruflich wie privat, können sich auf den gesamten Lebensweg auswirken. Ökonom*innen sprechen hier von Vernarbungseffekten: Berufseinsteiger*innen, die sich mit weniger Lohn zufriedengeben oder gar keine Stelle finden, haben mit den Folgen ihr ganzes Erwerbsleben lang zu kämpfen. Sie bekommen auch Jahre später oft weniger Gehalt und haben ein höheres Risiko für Arbeitslosigkeit.
Praktika werden abgesagt, Betriebe können nicht mehr ausbilden oder die Absolvent*innen nach der Lehre nicht übernehmen – sichere Alternativen bleiben schulische Ausbildungen und gefragte Fachbereiche wie Pflege (zum Beispiel die Ausbildung zur Pflegefachfrau bzw. zum Pflegefachmann) oder Pädagogik (zum Beispiel die Ausbildung zum*r Erzieher*in).
Auch den Uni-Absolvent*innen fällt die Jobsuche zu Corona-Zeiten nicht leicht. Die Chancen sind natürlich ebenso branchenabhängig. Während eine Informatikerin problemlos ins Berufsleben starten kann wird ein Eventmanager gerade kaum eine Stelle finden. Hier helfen Weiterbildungsangebote, um die Lücke im Lebenslauf und vor allem die übermäßige freie Zeit zu füllen. Viele Angebote werden von der Bundesagentur für Arbeit bezuschusst und können den Anstoß geben, um die Karriere ins Rollen zu bringen.
Und wer zahlt die Schulden?
Die Bundesregierung hat wegen der Corona-Krise schon mehr als 300 Milliarden Euro an neuen Krediten aufgenommen. Ich bin kein Wirtschaftsweise, aber ich kann sagen: Das ist ziemlich viel. Die Staatsverschuldung hat ein neues Rekordhoch erreicht und irgendjemand wird diese Schulden irgendwann bezahlen müssen. Aber wer und wann?
Eine Hoffnung vieler Politiker*innen ist, dass die Schulden sich sozusagen selbst rechnen. Mehr Geld führt zu mehr Wirtschaftsleistung, durch Steuern und Abgaben steigen die Einnahmen des Staates. Auch durch Investitionen in zukunftsträchtige Branchen, zum Beispiel in Digitalisierungsprojekte, könnte man auf lange Sicht gewinnen. Ob diese Selbstfinanzierungseffekte tatsächlich ausreichen, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.
Wie so vieles andere, denn: Die Auswirkungen des Coronavirus sind heute noch nicht abzusehen. Sie könnten unser Leben aber noch jahrzehntelang beeinflussen – und durch die privaten Einschränkungen, die verpassten beruflichen Möglichkeiten und den wachsenden Schuldenberg eine Generation Corona hervorbringen.
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