Wie gehe ich im Unterricht mit Widerstand und Verweigerung um? Das didaktische Konzept „Veto-Prinzip“ von Maike Plath ist aus einer solchen Situation heraus entstanden. Und so funktioniert es.
Stelle dir vor, du möchtest Menschen etwas erklären und sie hören dir nicht zu. Du versuchst es auf anderem Wege – ohne Erfolg. Dein Publikum legt „Veto“ ein – die totale Verweigerung. So erging es der Autorin, Bildungsaktivistin und ehemaligen Lehrerin Maike Plath in der 8. Klasse an einer Hauptschule in Neukölln. Sie erlebte in Extremform, dass demokratisches und gleichwürdiges Arbeiten in sehr diversen Gruppen die Lehrperson vor große Herausforderungen stellen kann. „Ich bin auf absoluten Widerstand gestoßen, die totale Ablehnung. Das Schlimmste war, dass ich nichts machen konnte“, berichtet Maike Plath im Podcast „Die Schule brennt“. Ein halbes Jahr lang habe sie täglich fünf Unterrichtskonzepte ausgearbeitet, die alle nicht fruchteten. Aus dieser Situation heraus hat Maike Plath ihre Not zur Tugend gemacht, den Spieß quasi umgedreht und das Veto-Prinzip entwickelt. „Ich habe gedacht, was ist, wenn ich den Schülern und Schülerinnen meine Verzweiflung zeige und ihnen sage, wenn ihr nichts wollt, dann machen wir jetzt eben nichts. Ihr könnt zu allem Veto einlegen. Mal sehen, wie lange das dauert.“ Zunächst habe das den Effekt gehabt, dass die Situation noch schwieriger wurde. Doch allmählich änderte sich etwas. Die Schüler*innen hätten gemerkt, dass das ständige Veto-einlegen irgendwann keinen Spaß mehr macht. Mit Hilfe eines „open mic“ (offenen Mikrophons) konnte sich, wer wollte, zu bestimmten Begriffen wie beispielsweise zum Thema „Heimat“ äußern. Das sei sehr gut angenommen worden. Auf der Basis der Erzählungen der Jugendlichen entwickelte sich dann nach und nach eine Theaterproduktion. Die Erlebnisse aus ihrer Zeit in der Schule in Neukölln schildert Maike Plath sehr plastisch in ihrem Buch „Türwächter:innen der Freiheit“.
Ausgangspunkt ist die Integrität eines Menschen
Letztendlich stelle sich im Umgang mit Widerstand die Frage, wie man damit verfahre: Verleitet einen der Stress, der das mit sich bringt, dazu, autoritär geprägte Verhaltensweisen anzuwenden, also beispielsweise mit Belohnung und Bestrafung zu arbeiten oder hält man ein Veto aus, auf das man mit der Frage antworten kann: Das willst du nicht, was willst du stattdessen und was brauchen wir dafür? „Ich ging ihnen in ihrem Widerstand entgegen – und verankerte das Veto-Recht als festen konzeptionellen Teil der Zusammenarbeit. Damit war ein neuer Führungs-stil etabliert und gleichzeitig ein Prozess auf den Weg gebracht, der auch bei mir selbst zu sehr schmerzhaften, aber gleichzeitig sehr erhellenden Erkenntnissen über meine eigenen (unbewusst autoritären) Prägungen führte“, beschreibt Plath ihre Erfahrungen auf ihrer Webseite. Ausgangspunkt bei der Arbeit mit dem Veto-Prinzip sei immer die Integrität der einzelnen Person. Der Fokus richte sich also nicht auf bestehende Normen, sondern darauf, welches bestehende Potential die Person bereits mitbringe.
Arbeit nach dem Dreischritt: Ziel, Erfahrungsspielraum, Reflexion
In der weiteren Zusammenarbeit mit den Schüler*innen führte die ehemalige Lehrerin die Regel ein, grundsätzlich bei jeder neuen Aufgabe oder Aktion zunächst einmal darüber zu sprechen, was der Sinn dieser Aufgabe ist, welche Rolle ich darin übernehmen möchte, und welches Ziel erreicht werden soll. Nach der Umsetzung wurde dann besprochen, wie es den Beteiligten dabei ergangen ist. Diese Vorgehensweise hat Maike Plath später definiert als „Arbeit nach dem Dreischritt“: Ziel, Erfahrungsspielraum, Reflexion.
In diesem Prozess konnten die Schüler und Schülerinnen sich dazu entscheiden, die Führung und damit auch die Verantwortung für eine Aufgabe oder Aktion zu übernehmen. Nach dem Feedback konnte diese Rolle auch wieder an jemand anderen abgeben werden. Dabei lernten sie herauszufinden, was sie wirklich wollen oder was nicht.
Leitfaden zur Ausbildung der eigenen Führungsstärke
In ihrem Konzept hat Maike Plath die Ansichten zur Elternerziehung des dänischen Familientherapeuten Jesper Juul für Schulen konkreter anwendbar gemacht. Auf spielerische und handlungsorientierte Art werde die eigene Führungskompetenz entwickelt (z.B. der Lehrkraft, des Schülers, der Schülerin), die die persönlichen Potentiale aller Beteiligten zur Entfaltung brächten. Auf dieser Grundlage seien sie wiederum in der Lage und dazu motiviert, Verantwortung zu übernehmen.
„Wir müssen lernen, Regie über unser Leben zu führen, auch wenn sich das Drehbuch unseres Alltags täglich ändert: Beruf. Beziehungen. Partnerschaften. Leben. Das Veto-Führungstraining setzt dort an, wo Veränderung wirklich beginnt: ‚Bei uns selbst'“, betont Plath.
Mit der Integrität eines einzelnen Menschen als Ausgangspunkt ist dieses Konzept außer in der Schulpraxis auch in anderen Bereichen, wie der Partnerschaft, im Pflegebereich oder in der Personalabteilung anwendbar.
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